Der heutige Blog-Artikel soll einer kleinen, wahren Anekdote beginnen: ich war einmal auf ein Live Trading-Event mit einigen Kollegen eingeladen.
Wer ein solches Event schon einmal gesehen hat, der weiß, dass dort diverse Trader in einer Reihe nebeneinandersitzen, ihren Laptop oder einige Bildschirme vor sich haben und dann über eine Leinwand die Action des jeweiligen Traders ins Publikum übertragen wird.
Mein Bereich bestand neben den üblichen Gimmicks wie Tastatur und Maus zudem aus einem kleinen, weißen unauffälligen Zettel, auf dem eine Telefonnummer stand.
Als einer meiner Kollegen diesen kleinen Zettel sah, wurde es zügig lustig:
„Haha, wessen Nummer ist das Jens – die von Frauchen, damit du um Erlaubnis fragen kannst, ob du den Trade machen darfs?“
Haha…
Nein, es war tatsächlich die Nummer meines Brokers und ganz konkret: die des Trading-Desks.
Man stelle sich nur einmal vor was passieren würde, wenn während des Events plötzlich das Internet ausfällt oder der Laptop die Grätsche macht…
Du wirst es bestimmt bereits ahnen, andernfalls wäre die Geschichte als Anekdote ungeeignet: das Internet sollte kurze Zeit später tatsächlich ausfallen.
Ich musste meinen Broker nicht anrufen, hatte zum besagten Zeitpunkt keine Position offen, war flat und wartete auf den Nachmittagshandel und die US-Markteröffnung.
Meine geschätzten Kollegen und auch der Witzbold von zuvor, waren allerdings nicht flat, sondern hatten in der Tat offene Positionen – und demzufolge war der Aufschrei und Stress groß.
"Was passiert gerade mit meiner Position, wie komme ich schnell an die Telefonnummer meines Brokers (googeln ging nicht, gab nämlich kein Internet…) – was soll ich tun?!?!?"
Ich konnte mir eine Spitze nicht verkneifen und schlug vor, meine Frau anzurufen und für meinen Kollegen nachzufragen, was er tun solle, allerdings war, außer mir, niemandem zu lachen zu Mute, ihm schon gar nicht.
Diese kleine Anekdote führt uns direkt und ungefiltert zum heutigen Thema des Blog-Artikels:
„Plane den Verlust - kalkuliere die Katastrophe“
Die Katastrophe, jenes unwahrscheinliche Event für welches, sollte es dennoch auftreten, ein Plan vorliegen sollte – zum Beispiel den Ausfall des Internets.
Trading-Plan vs. Handelssystem
Kommen wir in diesem Zusammenhang zunächst zur Unterscheidung des Trading-Plans von unserem Handelssystem.
Dieser Plan, unser Trading-Plan, geht weit über das Handeln unseres Handelssystems hinaus und ist ein weiterer, gravierender Unterschied zwischen einem Amateur- und Profi-Trader.
In der Tat beschreibt ein Handelssystem „nur“, wie du in Trades ein- und aussteigen oder auch wie dein Risiko- und Money-Management-Plan ausschaut.
Ein Handelssystem beschreibt folglich die Logik, welcher dein Trading folgt und somit ist das Handelssystem Teil deines Handelsplans.
Ein Trading-Plan geht darüber hinaus.
Ein Trading-Plan definiert, was du warum, wann und wie tun musst, aber nicht nur in Bezug auf dein Handelssystem, sondern auch in Bezug auf deine tägliche Handelsroutine, in welcher du klar formulierst, wie du auf dem höchstmöglichen (auch mentalen) Niveau performen kannst.
Ein Trading-Plan dekliniert durch, was im Falle eines Internetausfalls oder bei einem Zusammenbruch deines Computers zu tun ist, was ich zu tun habe bzw. wie ich mit offenen Positionen umgehe, wenn mich während der Handelssitzung ein Anruf erreicht, dass mein Kind aus dem Kindergarten abgeholt werden muss oder sonst irgendwelche, nicht vorhersehbaren und in der Prioritätenliste einfach höher als Trading anzusiedelnde Ereignisse auftreten.
Grundsätzlich gilt, dass du durch das Befolgen deines klar definierten Handelsplans dafür sorgen kannst, dass du den Einfluss negativer Emotionen in deinem Trading maximal minimieren wirst, ausgehend von dem Wissen, dass getroffene Entscheidungen auf Basis dieser "schlechten" Emotionen langfristig nur Geld kosten werden, dein Trading eventuell gar unprofitabel wird.
Auf der Kehrseite sorgt das Befolgen eines klar definierten Ablaufplans, dass du dich optimal auf jene Emotionen fokussieren kannst, die dir helfen, dein höchstmögliches Trading-Performance-Niveau zu erreichen und somit sicherzustellen, dass du deinem Handelssystem ohne zu zögern folgen kannst.
Checklisten von der Intensivstation - für unser Trading gerade richtig
Zunächst einmal die Frage: was ist überhaupt eine Checkliste?
Eine Checkliste ist eine Liste von einfachen Routineaktionen, die ausgeführt werden müssen, bevor, in unserem Fall, wir unser Trading überhaupt beginnen.
In der Tat finden Checklisten vielfach Verwendung, z.B. in der Medizin oder der Luftfahrt und beinhalten abzuarbeitende Routinen, die einfach und wiederholbar sind und grundlegende Fehler vermeiden helfen, andernfalls schwerwiegende Konsequenzen haben würden (zum Beispiel nicht die Telefon-Nummer seines Brokers im Falle eines Internetausfalls oder eine zu große Position in einem Swing-Trade über Nacht zu halten...😉).
Wenn man so möchte, sind Checklisten eine Art Gedächtnishilfe die in Form eines „Game Plans“ zu einer Systematisierung grundlegender Aufgaben führen.
Das Abarbeiten einer solchen Checkliste und das Ausformulieren eines konkreten „Game Plans“ für unser tägliches Trading ala „Wenn dies und jenes geschieht, tue ich das“ führt neben einer natürlich zu erlangenden Souveränität und Ruhe in unserem Trading zudem zu einer natürlichen Reduktion von kognitiven Verzerrungen und Heuristiken bei der Entscheidungsfindung (lese hierzu auch den Blog-Artikel "Wie uns unser Gehirn im Trading Streiche spielt")
Das bedeutet anders: plötzliche, potentiell unprofitable Entscheidungen wie „Wenn die nächste Kerze grün ist, schaut das Bild im DAX gut aus und ich bin Long“ werden auf ein Minimum reduziert bzw. nahezu vollständig aus unserem Trading eliminiert.
Checklisten vereinfachen unser Trading also (zwar wird unsere Checkliste mit der Zeit immer länger und detaillierter, aber wie auch mit anderen Abläufen, die wir wieder und wieder machen, geht uns der jeweilige Prozess eher früher als später natürlich in Fleisch und Blut über) und helfen dennoch Fehler abzufedern bzw. zu reduzieren.
Um die Mächtigkeit von Checklisten zu erkennen, möchte ich an dieser Stelle die bekannte Pronovost-Story teilen:
Peter Pronovost (Wikipedia) ist ein US-amerikanischer Anästhesist und Notfallmediziner und hat sich mit der Frage beschäftigt, wie er das Gesundheitssystem und Krankenhäuser sicherer für Patienten machen kann.
Bei seinen Beobachtungen stellte er fest, dass die im Zusammenhang mit Katheter-assoziierten Infektionen auftretenden Komplikationen und schlimmstenfalls sogar Todesfälle reduziert, vielleicht sogar vermieden werden können, wenn eine einfache 5-Punkte-Checkliste befolgt würde:
Hände mit Seife waschen
Haut der Patienten desinfizieren
Sterile Abdeckungen über den Patienten legen
Sterile Maske, Haube, Mantel und Handschuhe anziehen
Sterilen Verband/ Pflaster über das Katheter-Gebiet kleben
Auf sein Hinwirken hin, konnten so im Jahr 2003 in 108 Krankenhäusern und Gesundheitseinrichtungen in Michigan die Infektionsraten auf typischen Intensivstationen von 2.7/ 1000 Patienten auf 0 bzw. die Katheter-assoziierten Infektionen um 66% gesenkt werden.
Was im ersten Moment unspektakulär anmutet, wird klar, wenn man sich die Auswirkungen der von ihm eingeführten Checklisten innerhalb der ersten 18 Monate anschaut: in diesen konnten 1500 Leben gerettet und über $100 Mio. gespart werden.
Dass diese Checklisten im Bereich der Medizin nicht weiter verbreitet sind, trotz der eindrucksvollen Ergebnisse der Pronovost-Studie hängt wohl ganz wesentlich mit der Eitelkeit von vielen Ärzten zusammen, die sich nicht gerne überwachen lassen oder von Krankenschwestern und -pflegern vor einem Patienten darauf hinweisen lassen, sich doch bitte die Hände zu waschen.
Das bringt uns zurück zum Trading und den auch hier nicht selten verbreiteten Eitelkeiten und der Denke
„Ich bin doch kein Trader geworden, um jetzt plötzlich irgendwelchen Regeln zu folgen und messbar zu sein…“
Genau hier trennt sich die Spreu vom Weizen: professionelle, erfolgreiche Trader folgen nicht nur einer klaren Routine und gestalten ihr Trading bzw. ihren täglichen Ablauf möglichst eintönig und unflexibel, machen ihr Trading so langweilig wie möglich.
Sie haben zudem ein genaues Wenn-dann-Tableau für sich durchdekliniert, was ihnen ermöglicht auf möglichst jedes sich bietende Ereignis eine Lösung zu haben, die den auftretenden Schaden abfedern, eventuell sogar vollständig abwenden kann.
Ihr Hauptwerkzeug ist hier eine Checkliste, die sie jeden Tag vor Beginn deines Tradings durchgehst und die dir maßgeblich dabei hilft, mit einem Vorteil in den Handelstag zu starten.
Checklisten vermeiden nicht Verluste – sie vermeiden aber wahrscheinlicher eine Katastrophe
Bringen wir diese einzelnen Punkte „Trading-Plan vs. Handelssystem“, „Risiko- und Money-Management“ und „Checkliste“ zusammen und zeigen auf, was genau das mit dem „Vermeiden einer Katastrophe“ zu tun hat – eine ganze Menge nämlich.
Klar ist, dass das Vermeiden eines Stop Outs oder das „Ich muss gerade unvorhergesehen meinen Trading-Desk verlassen und habe mindestens kurzfristig meine Position nicht mehr im Blick“ (was logischerweise gleichzusetzen ist mit dem plötzlichen Shutdown meines Laptops oder des Ausfalls meines Internets) nicht möglich ist – da eben nicht in meiner Macht liegend.
Aber durch das vorherige „Durchdeklinieren“ einer solchen Unvorhersehbarkeit und das Integrieren in meinen Trading-Plan, eine erste Möglichkeit geschaffen wird, größeren Schaden für mein Handelskonto abzuwenden.
Zudem sollten auch darüberhinausgehende Effekte auf mein Trading, zum Beispiel mentaler Natur, nicht unterschätzt werden.
Während einerseits Verluste im Trading oder unvorhersehbare Ereignisse im Trading generell, die dann zu vorher so nicht kalkulierten Verlusten führen, weder schön noch angenehm sind, geben einem Trader Checklisten ein Gefühl von Kontrolle zurück.
So kann ein für den Fall eines Verlusts und im Anschluss hierfür klar formulierter Plan (anders: „Was habe ich jetzt zu tun?“) die mentale Stabilität geben, die vermeidet, „Dummheiten“ zu machen.
Das kann zum Beispiel so ausschauen, dass man nach einem Stop-Out zunächst einmal einen Schritt zurück macht und seinen Trade dokumentiert, bevor man einen erneuten Versuch startet.
Diese Distanz und das detaillierte Nachbetrachten kann man sich als eine Art „Kupplung treten“ beim Autofahren vorstellen, was dazu dient den Motor vom Getriebe zu trennen und in den nächsten Gang zu schalten (das entspricht der Vorstufe zum "Induzieren rationalen Denkens", von dem ich in meinem Buch "Trader" im Kapitel zur Trading-Psychologie schreibe).
Vor Eingehen eines Trades, bspw. eines Trades, den man plant über Nacht zu halten und der einem sogenannten „Overnight-Gap-Risiko“ unterliegt, hilft eine Checkliste mit einem Unterpunkt „Positionsgröße checken“ zu vermeiden, dass man eine zu große Position „swingt“.
Mal konkret auf mein Trading bezogen: es kann zum Beispiel sein, dass ich eine US-Aktie handle, die nach meinen persönlichen Kriterien „heiß“ ist (Blog-Artikel: Trader fragen: wie finde ich die richtige, heiße Aktie für mein Aktien-Daytrading?), zum Beispiel durch einen zuvor veröffentlichten Quartalsbericht.
Nun baue ich eine Position auf und diese läuft sehr sauber und „bilderbuchmäßig“ für mich.
Bei Betrachtung der übergeordneten Zeitebene (Stunde oder Tag) erkenne ich, dass ein Tagesschluss im Bereich der Tageshochs (oder -tiefs) die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass wir am darauffolgenden Handelstag über einen starken Widerstandsbereich gappen könnten und ich weitere Kursgewinne verbuchen könnte.
Das bedeutet aber nicht, dass ich die komplette Position über Nacht halten.
Tatsächlich ist es eher so, dass ich über den Handelstag hinweg und ausgehend von der sich mir präsentierenden Price Action kontinuierlich versuche, einen Cash Flow zu generieren, immer kleine Teilgewinne realisiere, in Rücksetzer erneut zu meiner Position hinzu addiere und dann in den Handelsschluss 25 – 50% der initialen Position auf diesen „Sprung“ über das ausgemachte Widerstandsniveau halte.
So kann ich ruhig schlafen und selbst wenn es zu einer so unvorhersehbaren Katastrophe wie Fukushima im März 2011 käme, würde ich zwar durch das zu erwartende Gap gegen mich einen Verlust realisieren müssen, aber er wäre durch meinen zuvor formulierten Plan und das Abarbeiten meiner Checkliste in Bezug auf die über Nacht zu haltende Positionsgröße verkraftbar.
Dieser Blog-Artikel findet sich auch noch einmal in einem Podcast gemeinsam mit Admiral Markets:
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